
Ein Anfang auf Papier – und was er heute noch bedeutet
Neulich hab ich mal wieder meine Geburtsurkunde in der Hand gehabt. Nicht freiwillig, versteht sich – ich brauchte sie für irgendeinen Behördengang, den ich schon verdrängt habe.
Aber da war sie. Alt, leicht vergilbt, eingerissen an der Ecke.
Und irgendwie… hab ich sie angeschaut, als würde sie gleich anfangen zu reden.
Also hab ich’s einfach gemacht: Ich hab mit ihr geredet.
Ich: Na, du auch noch da?
Geburtsurkunde: Immer. Ich bin älter als deine erste E-Mail-Adresse.
Ich: Weiß ich. Du bist auch das Erste, was es von mir offiziell gibt.
Geburtsurkunde: Korrekt. Ich war dabei, bevor du überhaupt realisiert hast, dass du geboren wurdest.
Ich: Okay, bisschen creepy.
Geburtsurkunde: Ich bin ein Dokument, was hast du erwartet? Wärme?
Ich musste lachen. Ich mein – klar, es ist nur Papier. Aber trotzdem hat mich dieser „Dialog“ irgendwie beschäftigt.
Denn mit 10 war ich stolz auf sie, mit 18 war sie mir egal, mit 25 hab ich sie das erste Mal wirklich gebraucht. Und jetzt, mit 34, sehe ich sie als Symbol.
Was sagt mir meine Geburtsurkunde heute?
- Dass ich einen Anfang hatte.
Das klingt simpel, aber das ist es nicht. Es gibt Millionen Menschen, die keinen dokumentierten Anfang haben. Ich schon. Ich hatte Glück. - Dass ich aus jemandem komme.
Die Namen meiner Eltern, ihr Geburtsort, ihre Geschichte – das alles steht indirekt auch in diesem Blatt. - Dass Zeit vergangen ist.
Mein Geburtsort – Halle an der Saale – war noch DDR, als ich geboren wurde. Heute klingt das für viele schon fast wie ein historischer Begriff. - Dass sich Identität verändert.
Ich heiße noch wie damals. Aber ich bin nicht mehr der Mensch, der ich als Baby war. Oder mit 14. Oder mit 29.
Geburtsurkunde: Weißt du noch, wie du mich mal im Scanner falsch rum eingelegt hast?
Ich: Ja. Und das Finanzamt hat’s trotzdem akzeptiert.
Geburtsurkunde: Amateurhaft.
Ich: Ich war jung. Und überfordert.
Geburtsurkunde: Willkommen im Leben.
Ich: Du bist ganz schön frech für ein Blatt Papier.
Geburtsurkunde: Ich bin das Fundament deiner Existenz.
Ich: Jetzt übertreibst du.
Geburtsurkunde: Vielleicht. Aber ein bisschen Respekt wäre angebracht. Ohne mich keine Schule, kein Führerschein, keine Liebe deines Lebens.
Ich: Warte mal – was hat mein Führerschein mit dir zu tun?
Geburtsurkunde: Alles fängt bei mir an. Ich bin die Mutter aller Formulare.
Ich hab sie dann wieder in den Ordner gelegt. Zwischen Mietvertrag und Impfpass.
Aber ich hab sie ein bisschen anders zurückgelegt als sonst. Vielleicht mit einem kleinen inneren Nicken.
Weil ich verstanden hab, dass sie nicht nur sagt, wann ich auf die Welt kam.
Sondern auch, dass ich es überhaupt tat.
Vielleicht redet ihr ja auch mal mit euren alten Unterlagen. Wer weiß – vielleicht haben sie was zu sagen.
Und wenn nicht: Ihr könnt sie immer noch benutzen, um Erinnerungen wachzurufen. Oder Blogposts zu schreiben.
Bis bald,
Erich